Missbrauch in der Therapie
Was ist Missbrauch in der Beratung oder Therapie?
Ein so genannter Missbrauch in der Therapie bedeutet, dass ein Therapeut bzw. eine Therapeutin sich in der Beratung oder Therapie nicht an den Bedürfnissen der Klientin bzw. Patientin orientiert, sondern die Abhängigkeit der Patientin ausnutzt, um eigene Bedürfnisse zu befriedigen. Diese Bedürfnisse können sexueller, körperlicher oder auch emotionaler Natur sein. Deshalb unterscheidet man zwischen sexuellem, materiellem und narzisstischem (bzw. emotionalem) Missbrauch. Unabhängig davon, ob die Patientin den Handlungen zustimmt, liegt die Verantwortung für den Missbrauch zu hundert Prozent beim Therapeuten bzw. bei der Therapeutin.
Ein Missbrauch in der Psychotherapie oder in der Beratung bedeutet immer ein Ausnutzen des Machtungleichgewichtes in der Beziehung: Menschen suchen die professionelle Hilfe eines Therapeuten oder einer Therapeutin, wenn es in ihrem Leben Probleme gibt, die sie klären und lösen möchte. Haben sie das für eine erfolgreiche Therapie notwendige Vertrauen gefasst, teilen sie ihre innersten Gefühle, Gedanken und Erlebnisse mit und sind bereit, sich klein, schwach, abhängig und verwundbar zu zeigen.
Dadurch werden naturgemäß Schutzmechanismen außer Kraft gesetzt, und es entsteht ein einseitiges Abhängigkeitsverhältnis, in dem eine Klientin manipulierbar und für ihr Handeln in der Therapie nur bedingt verantwortlich ist. Deswegen ist es so wichtig, dass Therapeut*innen und Berater*innen mit dieser Situation verantwortungsvoll umgehen.
Formen des Missbrauchs in Beratung und Therapie
Unter emotionalem Missbrauch werden Einstellungen und Handlungen des Therapeuten verstanden, die zum Ziel haben, eine Klientin für die eigene Selbstbestätigung und zur eigenen Aufwertung zu benutzen. Die Klientin gerät in die Rolle, den Therapeuten bewundern zu müssen, ihm gefallen und sein Wohlwollen erfahren zu müssen, um zum vermeintlichen Therapieerfolg beizutragen. Tatsächlich geht es aber bei dieser subtilen Form des Machtmissbrauches nicht um die Klientin und deren Entwicklung, sondern vorrangig um die Bedürfnisse des Therapeuten bzw. der Therapeutin.
Eindeutiger und leichter zu erkennen ist die materielle Ausbeutung in der Therapie. Dabei bedient sich ein*e Therapeut*in der Abhängigkeit einer Klientin bzw. ihrer Sympathie und Bindungswünsche, indem er*sie ihre Fähigkeiten, Kontakte, materiellen Möglichkeiten usw. im Rahmen der therapeutischen Beziehung gewinnbringend benutzt: Klientinnen werden z.B. als Bürohilfen, Putzfrauen oder Informantinnen eingesetzt.
Als sexueller Missbrauch in der Therapie wird jegliches Verhalten eines Therapeuten bezeichnet, das der Befriedigung der eigenen sexuellen Interessen und Wünsche dient. Die Grenzen zum sexuellen Missbrauch sind nicht erst mit dem Geschlechtsverkehr überschritten, sondern bereits dann, wenn Handlungen und Äußerungen des Therapeuten ein erotisches Interesse bei der Klientin erzeugen sollen und die Befriedigung seiner oder ihrer sexuellen Wünsche zum Ziel haben. Formen sexueller Übergriffe sind beispielsweise anzügliche Bemerkungen, eine sexuell ausgerichtete Körpersprache, Körperkontakte, die auf sexuelle Handlungen abzielen, sexuelle Belästigung und Nötigung. Das Eingehen einer sexuellen Beziehung mit einer Klientin ist sexueller Missbrauch, selbst wenn die Klientin in sexuelle Kontakte einwilligt oder sich diese wünscht.
Woran können Sie Missbrauch in der Therapie erkennen?
Oft handelt es sich beim Missbrauch in der Therapie um einen langsam entstehenden und schleichenden Prozess von beginnenden Grenzüberschreitungen bis hin zum offenen Missbrauch.
Erste Anzeichen für eine Grenzauflösung können unter anderem folgende sein:
- ein „familiäres“ Verhalten des Therapeuten (z.B. Abhalten von Therapiestunden in seinem Wohnzimmer, Vorschläge, sich privat zu treffen, private Besuche und Geschenke durch den Therapeuten)
- Abschließen des Behandlungszimmers während der Therapiesitzungen
- eine bevorzugte Behandlung wie Zeitüberziehungen, kostenlose Extrasitzungen, Kostenermäßigungen und -erlass
- vermehrte, häufige Komplimente oder Bemerkungen über Kleidung, Figur, Aussehen, Gebrauch von Kosenamen wie „Liebling“ oder „Schätzchen“ – auch wenn dies scheinbar scherzhaft gemeint ist
- Einbringen persönlicher Schwierigkeiten wie Ehe- oder Beziehungsprobleme, eigener sexueller Erfahrungen oder Wünsche durch den Therapeuten oder die Therapeutin
- erste „zufällige“ Berührungen.
Was können Sie tun?
Manche Frauen sind sich unsicher, ob das, was sie erfahren bzw. erfahren haben, wirklich als Missbrauch zu bewerten ist. Ein Beratungsgespräch in einer Frauenfacheinrichtung wie der unseren kann helfen, sich über die Situation klarer zu werden. Außerdem können Sie sich informieren, welche Maßnahmen Sie ggf. ergreifen könnten, wenn Sie beabsichtigen, gegen eine*n Täter*in vorzugehen.
Beim sexuellen Missbrauch in der Psychotherapie oder Beratung gibt es die Möglichkeit einer Strafanzeige oder einer Zivilklage auf Schmerzensgeld. Der „sexuelle Missbrauch unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses“ ist im Strafgesetzbuch (§174c StGB) geregelt. Außerdem kann ggf. Beschwerde bei der zuständigen Ärzte- oder Psychotherapeutenkammer eingereicht werden.
Der sexuelle Missbrauch in Therapieverhältnissen verjährt nach 5 Jahren. Das bedeutet, ein*e Therapeut*in nach Ablauf der 5 Jahre nicht mehr für einen sexuellen Missbrauch bestraft werden kann.
Ob eine Anzeige sinnvoll ist, lässt sich am besten in einem Gespräch mit einer erfahrenen Rechtsanwält*in klären. Frauenfacheinrichtungen wie die unsere können auf Wunsch Adressen vermitteln und über mögliche Schritte informieren. Auch eine Begleitung im Strafverfahren ist möglich.
Ist der*die Therapeut*in als Arzt*Ärztin oder Psychotherapeut*in zugelassen, kann eine schriftliche Beschwerde bei der Ärztekammer bzw. Psychotherapeutenkammer eingereicht werden. Wenn sich der Verdacht auf sexuellen Missbrauch erhärtet, kann die Kammer ein berufsrechtliches Verfahren gegen ihn bzw. sie einleiten, in dem die betroffene Person als Zeugin auftritt und keinerlei Kosten hat. In berufsrechtlichen Verfahren kann dem Therapeuten die Erlaubnis entzogen werden, seinen Beruf weiter auszuüben.
Ausführlichere Informationen zum Thema finden Sie im längeren Text zum Download rechts auf dieser Seite. Beide Textversionen sind stark gekürzte und modifizierte Fassungen des Textes auf der Website des bff. Dort finden Sie auch noch weitergehende Informationen zum Thema.